„Verzeihen Sie, Herr Turner. Nichts hasse ich mehr, als bei wirklich wichtigen Dingen gestört zu werden. Diese Bankfuzzies glauben, sie seien der liebe Gott und würden mit ihrem Geld die Welt regieren. Und wenn morgen ein Tumor in ihrem Kopf diagnostiziert wird, heulen sie wie die Kleinkinder und würden alle ihre Millionen gerne für einen kompetenten Arzt ausgeben oder einem Hilfswerk spenden, damit sie zur Belohnung diese paar Zentimeter bösartiges Gewebe wieder los werden. Begreifen nichts von der Welt und vom Leben, wollen aber die Gesetze für beide verfassen. Erbärmlich. Vergessen Sie die Störung. Kommen wir zu unserem Gespräch zurück. Ich weiß, dass Sie nebenbei Filmkritiken schreiben.“
„Gibt es etwas über mich, dass Sie noch nicht wissen?“
„Ihre paranormalen Anlagen sind uns entgangen. Aber ich bin jetzt nicht mehr böse über dieses Manko. Auch ich lerne gerne dazu. Vorgestern zum Beispiel. Und dies ist ein Tipp für Sie, der Sie doch Movies so mögen. Könnte eine interessante Rezension aus Ihrer Feder werden. Ich habe den neuen Batman gesehen. Grandios. Einfach grandios. Normalerweise sehe ich mir solche Filme gar nicht erst an, diese Super-, Spinnen- und Fledermausmänner, langweiliger Kinderkram. Aber der tragische Tod von Heath Ledger im Januar dieses Jahres, hat mich doch neugierig gemacht. Ich habe den jungen Mann kurz vor Drehbeginn auf einer Party kennengelernt und mir erlaubt, ihm einige Hinweise zu geben, wie er aus seinem Potential noch mehr machen könnte. Er hat damals nur gelacht, aber seine Augen sprachen doch eine andere Sprache. Er wirkte traurig, gehetzt wie ein Wild, dass die Treiber schon in dichter Nähe hört. Wahrscheinlich lebte er schon zu diesem Zeitpunkt mehr von Tabletten als von Hamburgern. Wobei die Letzteren ihn wahrscheinlich auch umgebracht hätten, bloß später und mit der Figur des alten Marlon Brandos. Na, wie auch immer. Ich sah mir den Film nur Heath wegen an. Was soll ich sagen – ich habe es nicht bereut. Das Drehbuch ist besser als die gewöhnlichen Vorlagen für solche Comicverfilmungen. Ich habe mir 1989 aus Sympathie für Jack Nicholson, den ich damals zu meinen Freunden zählte, das letzte Mal solch einen Batman Film angesehen. Zugegeben, die darstellerische Leistung von Jack war nicht schlecht, aber er spielte den Joker, Heath dagegen ist der Joker. Das alte Drehbuch blieb noch zu vielen Klischees verhaftet, das Gute war letztlich stärker als das Böse und der Joker als Bösewicht besaß noch eine Vergangenheit, die sein Verhalten zumindest ansatzweise erklären sollte. Dark Knight macht Schluss mit diesem verfehlten und naiven Ausgangspunkt. Hier sind Gut und Böse endlich einmal gleichwertig, wie im realen Leben. Eigentlich – und auch dies scheint der Drehbuchautor dem richtigen Leben entnommen zu haben, ist das Böse sogar stärker, raffinierter, vor allem ironischer als das Gute. Der Joker besitzt kein Bat-Mobil, keinen Spezialanzug und Superwaffen, keine moderne Technik, nur seinen Verstand und seine Schminke und die tarnt ihn nicht, sondern offenbart ihn.
Und es geht dem Antihelden nicht ums Geld, um Frauen, um Macht im herkömmlichen Sinne. Nein, nur um – Spaß. Er ist Batman immer voraus, er spielt mit ihm, ist ihm überlegen, weil er die Struktur des Seins begriffen hat, der nicht Ordnung, sondern Chaos zugrunde liegt. Ordnung ist immer nur zeitweilig und punktuell, jedes Bemühen, sie dauerhaft herzustellen, von vornherein zum Scheitern verurteilt. Ich hatte fast Mitleid mit Batman. Er war eigentlich chancenlos, aber der Film konnte so natürlich nicht enden, das hätte den Hollywoodmogulen und dem Gros des Publikums nicht gefallen. Also griff Christopher Nolan, den ich übrigens auch persönlich kenne und als Regisseur und Drehbuchautor schätze, bei der Dramaturgie zu einem Taschenspielertrick, besser gesagt, er griff in die Mottenkiste der Aufklärung und ließ die Gut-Menschen wieder aufmarschieren, die lieber selbst in die Luft fliegen als ihre Mitbürger zu opfern. Aber abgesehen von diesem Quatsch wurde die Logik durchgehalten. Es gibt keine Erklärung für das Böse, der Joker hat keine Vergangenheit, kein Vorleben, keine schlechte Kindheit, keine Gesellschaft, die ihn schlecht gemacht hat, er parodiert alle gängigen Erklärungen, die ein Verstehen seines Verhaltens ermöglichen würden. Er zeigt, dass das wirklich Böse das grundlos Böse ist. Und wo es keinen Grund gibt, kann man ihm auch keinen Boden entziehen. Man kann ihm nichts entgegensetzen. Auch der Tod ist dann nur Spiel. Ich denke, der gute Heath, ein netter, kluger, aber nicht gerade tiefsinniger Kopf, wochenlang mit seiner Rolle kämpfend, mit seinen Tabletten zugedröhnt, muss von dieser Einsicht wie vom Blitz getroffen worden sein. Er spielte diese Rolle nicht mehr als Rolle, sondern als Lebensweisheit, als die Erkenntnis des Pudels Kern. Sein Schmatzen und Schnalzen ist das Geräusch des Bösen schlechthin. Ich weiß, wovon ich spreche. Heath wurde zum Joker. Und er ist nicht einmal unsympathisch. Das alles zu verarbeiten, nach dem Ablegen seines Kostüms und dem Abschminken seines Gesichts, war für ihn vermutlich zu viel, er hätte sofort einen zweiten Teil drehen müssen, dann hätte er noch eine Weile leben und seinen Ruhm mehren können. Aber so hat er für diese Art der Darstellung, quasi für die Unsterblichkeit seiner Darstellung, mit dem realen Leben bezahlen müssen. Er hatte eine neue Sicht auf das Leben und sein eigenes Leben bekommen, die er nicht mehr ertragen konnte. Sehen Sie sich den Film an, dann werden Sie vielleicht mein Urteil verstehen. Möglicherweise lese Rezension in einer Illustrierten und finde einige meiner heutigen Gedanken wieder.“
Ich hätte mich auf eine Diskussion einlassen können, denn ich hatte den Film schon gesehen, aber wie sollte ich Will Smith dies erklären? Dass ich den gesamten Film im Traum habe abspulen lassen, eine Hellseherei im 16:9 und Dolby Surround Format? Nein, ich sagte stattdessen: „Hört sich vielversprechend an.“